Die Holzhey-Orgel im Münster Obermarchtal






Die Orgel von Johann Nepomuk Holzhey im Münster von Obermarchtal ist eine der
bedeutendsten Denkmalorgeln Süddeutschlands und wurde in den Jahren 2011 und
2012 mit großem Aufwand von der Orgelbauwerkstätte Johannes Rohlf aus Neubulach
umfassend restauriert. Umfangreiche Quellenstudien und detaillierte Befundermittlungen
haben die Restaurierung begleitet und auf eine sichere wissenschaftliche Basis gestellt.
Die Geschichte der Orgel ist nun gründlich aufgearbeitet und die Arbeitsweise der
Werkstätte von Holzhey ist uns vertraut.
Durch erhebliche Substanzverluste bei der letzten Renovierung im vergangenen Jahrhundert
konnten aber nicht alle Detailfragen geklärt werden, so dass diese weiterhin offen bleiben
müssen. Im Zweifelsfall war der Befund am Instrument maßgebend für die Instandsetzung,
wohl wissend, dass die „Handschriften“ verschiedener Orgelbauer, die die letzten 230 Jahre
am Instrument gearbeitet haben, nicht immer auseinandergehalten werden können.
Es bewahrheitet sich immer wieder die Erkenntnis, dass man nur sieht, was man weiß.
Trotz manch offener Detailfragen ist Holzheys Meisterwerk nun wieder dem Originalzustand
sehr nahe und ein bedeutendes Zeugnis für die Orgelbaukunst im Süddeutschland des 18. Jhs.
Zum Verständnis der Orgel soll ihre Geschichte im Überblick dargestellt werden.
 

Holzhey in Obermarchtal
 
Der Orgelbau im ehemaligen Reichsstift Obermarchtal hat eine lange Tradition.
Seit dem frühen 16. Jahrhundert sind Instrumente nachgewiesen[1]
Nach Weihe der neuen Klosterkirche 1701 stattete man das Gotteshaus zunächst
mit kleineren Instrumenten aus. Schließlich schloss man 1777 Verträge mit dem
angesehenen Orgelmacher aus Ottobeuren, der eine große Orgel auf der Westempore
und eine Chororgel liefern sollte um den Kirchenneubau zu vollenden.
 
Holzhey wurde wohl von Ursberg empfohlen, das wie Obermarchtal ebenfalls
Prämonstratenserstift war. Dort baute der Meister zwischen 1775 und 1778 eine
neue Haupt- und Chororgel. Man war anscheinend mit den Arbeiten zufrieden
und nach seinem Auftrag in Obermarchtal arbeitete seine Werkstatt auch für die
Prämonstratenserabteien Weißenau, Rot an der Rot und Roggenburg[2].
 
Neben reinen Wartungsarbeiten wurde die Orgel in Obermarchtal immer wieder
dem Zeitgeschmack angepasst, vor allem im klanglichen Bereich. Alle Quellen
wurden anlässlich der Renovierung noch einmal überprüft und neue erschlossen.
Manche Fragen konnten aber nicht gelöst werden, weil die Quellen nicht so reichlich
sprudeln, wie man sich das wünscht[3].
 
Für das 18. Jahrhundert ist die Quellenlage schlecht. Vermutlich wurden viele Akten
durch die Säkularisation vernichtet. Die Quellen fließen erst reichlicher nach 1803,
als dem fürstlichen Haus Thurn und Taxis das Stift zugesprochen wurde und es nun
eine straffe Verwaltung gab. Deshalb sind Veränderungen an der Orgel seit dem Beginn
des 19. Jahrhunderts gut nachvollziehbar. Schlecht dokumentiert ist hingegen die
Renovierung  in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Bei dieser Instandsetzung
wurde sehr viel an der bis dahin großteils original erhaltenen Orgel verändert, ohne die
Arbeiten zu dokumentieren.
 
Die Orgelarbeiten beginnen mit dem Bau der Hauptorgel 1778. Bisher ist man davon
ausgegangen, dass zunächst die Chororgel in Angriff genommen wurde, was aber eindeutig
zu widerlegen ist. Auf die falsche Fährte lockte eine Inschrift am Spieltisch, auf der
fälschlicherweise der Orgelbau in die Jahre 1782 bis 1784 datierte wurde. 
 
Ein erster Vertrag wurde schon 1777 geschlossen, aber die Gehäusegestaltung 1778 noch
einmal verändert. Das Gehäuse wurde im Rokoko-Dekor erstellt, damals schon etwas
altmodisch. Die Chororgel hingegen, fünf  Jahre später ausgeführt, zeigt moderne
klassizistische Formensprache. Im August 1779 war die Balganlage auf dem Dachboden
fertig geworden und das Gehäuse aufgestellt. Im Jahr 1780 erhielt Holzhey 132 Gulden
Douceur und eine silberne Tabaksdose im Wert von 22 Gulden sowie Wein für 9 Gulden.
Im Wesentlichen scheinen also die Arbeiten Ende August 1780 abgeschlossen worden zu sein.
Restarbeiten fielen aber noch 1783 an. Der Orgelbauer lackierte im August die Pfeifen und
stimmte sie rein. Auch war die Orgel „laut quittung vollkommen bezahlt“.
Der Bibliothekar Johann Nepomuk  Hauntinger vom Stift St. Gallen lobte Haupt- und Chorogel
kurz darauf überschwänglich. Er schrieb in sein Tagebuch:  „Die zwei Orgeln, die größere
besonders, welche Herr Holzhey eben aufsetzt, sind unvergleichlich schön, und die Zungen
und die Flötenwerke darin mögen wohl ihresgleichen suchen.“[4]  
 
Schon 15 Jahre später wurde das Stift aufgehoben und wurde zum Schloss
der Fürsten von Thurn und Taxis.
 

Die Geschichte der Orgel im 19. und 20. Jahrhundert
 
Die fürstliche Verwaltung ließ im Jahr 1867 die erste größere Reparatur durch
Orgelbauer Ebermeyr aus Ellwangen ausführen. Dabei wurde zum ersten Mal
die Disposition der Orgel aufgezeichnet. Ebermeyr setzt statt des Registers
Vox humana 8’ das Register Dolce 4’ im dritten Manual ein. Das Salicional im
zweiten Manual wurde in der tiefen Oktave ausgebaut. Ferner repariert er die
Windladen, die Mechanik und die Balganlage. Ebermeyr hatte die Orgel in den
kommenden Jahren in Pflege, anschließend Orgelbauer Scheffold aus Biberach.
 
Etwa ab 1890 besorgte die Orgelbauanstalt Gebrüder Späth aus Ennetach die
notwendigen Wartungsarbeiten. Auf Anregung der Firma wurde 1896 ein neues
Gebläse neben der Orgel auf der Empore gebaut und die sechs alten Blasbälge,
die auf der Kirchenbühne standen, wurden abgebrochen. Zudem wurde das
Register Gamba 8’ durch ein neues ausgetauscht. 

 



Weitere Verluste an der Orgel sind 1917 zu beklagen, als die zinnernen Prospektpfeifen
für Kriegszwecke abgeliefert werden mussten. Die Firma Späth ersetzte 1919 alle noch
verbliebenen sieben Zungenregister aus Holzheys Werkstatt durch neue. Im Jahr 1936
schließlich installierte die Firma einen elektrischen Antrieb an der Balganlage.
Anschließend aber wartete die Firma Reiser aus Biberach die Orgel.
 
Eine neuerliche Reparatur erfolgte 1936. Unter anderem wurde das Pedal auf 27 Töne
vergrößert und die Register Nasat 22/3’ und Hörnle 2’ wurden in der Mensur erweitert.
Ferner wurde das Register Dulciana 8’ durch ein neues ersetzt und für dieses ein
Schwellkästchen eingerichtet.
 
Wenn man die Geschichte der Orgel bis etwa 1940 überblickt, stellt man fest, dass das
Instrument die vorangegangenen 160 Jahre weitgehend im Originalzustand überdauert hat.
Verlorengegangen sind alle Zungenregister, die Register Gamba 8’ und Dulciana 8’, die
Balganlage und etliche Windkanäle. Alle übrigen Teile stammten noch aus Holzheys Werkstatt.
Die Originalsubstanz war somit sehr hoch.

Hans Reiser schrieb am 30. April 1948 an die Fürstliche Thurn und Taxis’sche Rentkammer:
„Das Orgelwerk hat schon ein ansehnliches Alter hinter sich und finden wir seinesgleichen
nur in ein paar Einzelfällen (...). Es ist bei uns im Orgelbau zu normalen Zeiten üblich, dass
alle 10 Jahre eine Generalüberholung einer jeden Orgel notwendig wird“[5].
Diese Generalüberholung ließ tatsächlich nicht lange auf sich warten.
 

Die Instandsetzung der Orgel 1961
 
Grundlage dafür war ein Leistungsverzeichnis von Dr. Walter Supper vom
Landesdenkmalamt in Stuttgart, aufgestellt am 4. 9. 1957. Darin heißt es zwar:
„Die Orgel soll dem Originalzustand so weit als möglich nahegebracht werden“[6],
doch trotz der angestrebten behutsamen Vorgehensweise  brachte diese Reparatur
den größten Verlust an originaler Substanz in der Geschichte der Orgel. Die gesamte
Spieltraktur, die Mechanik des Spieltisches und die eichenen Tragstützen für die Windladen
wurden ersetzt. Die Holzregister Viola 8’ und Copel 8’, anscheinend stark verwurmt,
wurden kopiert, die Register Cornet 3fach, Superoctav 2’ und Sexquialter 3fach in
ihrer Zusammensetzung verändert. Der Labienverlauf der Prospektpfeifen wurde in freier
Phantasie neu konzipiert, die Windladen erhielten Ausgleichsbälge, um nur die wichtigsten
Veränderungen zu nennen.
Eberhard Kneer aus Munderkingen fasste die Orgel im Sommer 1961. Hinter dem
Zierprospekt über dem Westfenster steht: „Diese Orgel wurde 1896 im Oktober mit
Leimfarbe gestrichen. Gefasst wurde sie wegen den fehlenden Moneten nicht, schade.
Karl Hamm, Maler“[7].   
 
Prof. Bernhard Ader, Orgelsachverständiger der Diözese Rottenburg-Stuttgart, bewertet in
einem Brief an das Bischöfliche Bauamt vom 28. März 1992 die Arbeiten folgendermaßen:
„Die Hauptorgel auf der Westempore (...) sollte unbedingt restauriert werden. (...)
Die letztgenannten Maßnahmen als ‚Restaurierung’ bezeichnen zu wollen wäre allerdings
völlig verfehlt, denn im Grunde geschah das Gegenteil: Wertvolle Originalsubstanz wurde
sinnlos zerstört und durch fragwürdige ‚moderne’ Materialien und Bauweisen ersetzt“[8] .

Dr. Ulrich Höflacher

Dr. Ulrich Höflacher ist Musikwissenschaftler und war stellvertretender Schulleiter
m Kath. Freien Gymnasium des Bildungszentrums St. Konrad in Ravensburg.
Seine Dissertation über den Orgelbauer Johann Nepomuk Holzhey war Grundlage
für die Renovierung der Instrumente Holzheys. Seit über 40 Jahren ist er zudem
Organist an der Holzhey-Orgel der ehemaligen Reichsabteikirche St. Peter und Paul
n Weißenau, Stadt Ravensburg.
 




 
[1]  Wolfgang Manecke und Johannes Mayr: Historische Orgeln im Alb-Donau-Kreis,
            in Ulm, Hayingen und Zwiefalten. Ulm, 1999. S. 101.
[2] Ulrich Höflacher: Johann Nepomuk Holzhey. Ein oberschwäbischer Orgelbauer.
           Ravensburg, 1987. Die grundlegende Arbeit gibt einen Einblick in das Gesamtwerk
           Holzheys. Bei der Bewertung und Datierung der Instrumente von Obermarchtal wird
           auf den vorliegenden Aufsatz verwiesen, der einige Angaben präzisiert und korrigiert.  
[3] Erschwerend kommt hinzu, dass die Akten des Reichsstifts Obermarchtal im
           Staatsarchiv Sigmaringen derzeit nicht zugänglich sind. Sie sind schon verpackt
           und sollen mit den übrigen Beständen im Fürstlichen Archiv Thurn und Taxis in
           Regensburg zusammen geführt werden. In Regensburg befindet sich der Großteil
           der Orgelakten und ist leicht zugänglich.
[4] Hauntinger, Johann Nepomuk: Reise durch Schwaben und Bayern im Jahr 1784.
           Hg. und eingeleitet von Gebhard Spahr. Weißenahorn, 1964. S. 140. Hauntinger
           irrte darin, dass Holzhey nicht die größere Orgel, sondern die Chororgel im Begriff
           war „aufzusetzen“.
[5] Thurn und Taxis Zentralarchiv Regensburg: Die Orgeln in der f. Schlosskirche
           zu Obermarchtal 1896-1959. Nr. 1036.
[6] siehe Anmerkung 5.
[7] Thurn und Taxis Zentralarchiv Regensburg: Die Orgeln in der f. Schlosskirche
           zu Obermarchtal 1960. Nr. 1037.
[8] Orgelakten im Bischöflichen Ordinariat Rottenburg, Amt für Kirchenmusik, Obermarchtal











 

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